Vielleicht habt ihr es gar nicht mitbekommen: Die weltweite Videospielebranche steckt in der Krise. Denn gleichzeitig werden (noch) Rekorde gefeiert: Activision-Blizzard wurde gerade für 68,7 Milliarden Dollar von Microsoft aufgekauft, ein historischer Höchstwert für die Branche. Das Unternehmen steckt hinter Hits wie World of Warcraft, Call of Duty oder Candy Crush. Der Überraschungserfolg Baldur’s Gate 3 des unabhängigen, belgischen Entwicklers Larian Studios hat Wertungsrekorde eingefahren und natürlich auch entsprechende Verkaufszahlen erreichen können. Beinahe monatlich erscheinen Top-Produktionen, die internationale Erfolge feiern können und wahrscheinlich für Jahre in ihrer Nische zur Referenz werden. Dennoch zeigt die Gesamtschau der Gamesbranchen-Nachrichten für dieses Jahr: Nach einem starken Boom während der Corona-Zeit spürt die Branche eine deutliche Abkühlung.
Spieler und Werbetreibende sparen, Finanzierungen werden teurer und der wirtschaftliche Gesamtausblick trübe. Nun häufen sich News über Entlassungen, Kürzungen und Preiserhöhungen, zumindest hinter den Kulissen der farbenfrohen Unterhaltungsindustrie. An allen Ecken wird gespart und das trifft längst nicht nur die Hersteller von Videospielen: Twitch, der (Games-)Livestreaming-Service von Amazon, hat mehr als 400 Mitarbeiter entlassen, Unity, der Anbieter der gleichnamigen Gameengine, mehr als 600. Die E-Sports-Organisation FaZe-Clan steckt in der Krise, Epic Games (Fortnite und Unreal Engine) und Niantic (Pokémon Go) kürzen massiv. In Deutschland gibt das Erfolgsstudio Mimimi Games aus München überraschend auf, Daedalic Entertainment aus Hamburg schließt nach einem Flop mit dem Spiel Gollum seine Entwicklungsabteilung und so geht es weiter. Man könnte fast den Eindruck bekommen, dass die Branche ihre gesamte Energie und Kreativität für die Releases des laufenden Jahres zusammengenommen hat und ihr danach erst einmal die Luft auszugehen droht.
Wie sieht das aus der Innenperspektive aus? Wie immer in dieser Artikelserie haben wir zu diesem Thema mit Dr. Johannes Mattmann, dem Gründer des Entwicklerstudios Andarion Games aus Mainz, gesprochen, der für uns ein wenig aus dem Nähkästchen geplaudert hat:
“Ich habe auf diese Frage zwei widersprüchliche Antworten: Einerseits habe ich bereits letztes Jahr mein Geschäftsmodell genau wegen der aufziehenden Krise komplett umstellen müssen. Andererseits haben die großen Erschütterungen der jüngeren Vergangenheit bislang keine großen Auswirkungen auf mich.” verrät uns Herr Mattmann auf unsere Frage, ob Andarion Games von den Auswirkungen der Games-Krise selbst betroffen sei.
Angefangen hat Andarion Games 2021 mit sogenannten Hypercasual-Spielen für Smartphones. “In diesem Segment, wo Spiele rein werbefinanziert sind und auch kleine Studios oder Einzelentwickler früher einmal große Erfolge feiern konnten, wurde die Luft schon im Frühsommer 2022 sehr dünn. Daher habe ich mich dann umorientiert zu einem klassischeren Modell und angefangen, kostenpflichtige Titel für den PC zu entwickeln”, erfahren wir hierzu.
Die “Secret Sauce”, um die Dürrephase zu überbrücken, ist aber tatsächlich auch bei Andarion Games eine andere. “Während der Arbeit an CtrlC sowie an Folgeprodukten bin ich dabei, meine Erfahrungen im Bereich Educational Games auch in Kundenprojekten einzubringen. Auftragsarbeiten sind seit jeher ein Weg, wie kleine Entwicklungsstudios ihr Wachstum oder zumindest ihre Existenz finanzieren können.”
Kostensteigerungen wie die kürzlich angekündigte Preiserhöhung der Unity-Engine oder schlicht die gestiegenen Kosten für Strom und Hardware gehen natürlich dennoch nicht spurlos an einem kleinen Unternehmen vorbei. Und doch ist man bei Andarion Games guter Dinge: “Nächsten Monat veröffentliche ich endlich CtrlC, das Spiel war dann über ein Jahr in Entwicklung und wurde auf der letztjährigen Gamescom angekündigt. Jetzt zum Next Fest, einem Vorschauevent der Verkaufsplattform Steam, konnte jeder der wollte eine kostenfreie Demo spielen. Die Zahl der Interessenten für das Spiel hat sich dadurch noch einmal mehr als verdoppelt, das ist super. Und mit den zusätzlichen Auftragsprojekten ist die Projektpipeline bis ins neue Jahr gefüllt, sodass die Lichter hier nicht ausgehen werden.”
Doch wir gehen noch nicht ohne zu fragen, wie die langfristigen Aussichten für das Unternehmen sind. Herr Mattmann lächelt etwas, dann sagt er bedächtig: “Neulich hat mich mein Neffe gefragt, ob ich einmal ein großes Computerspiel entwickeln werde, das alle in der Schule kennen. Nun, ich weiß es nicht, aber ich arbeite jeden Tag weiter darauf hin.”
Wir wünschen ihm und seinem Team die Daumen, dass ihm das irgendwann gelingt.