Experte: Jörg Schmitt-Kilian (ehem. Drogenfahnder) hat zahlreiche Krimis, Jugendromane, Reisebegleiter und Themenhefte (Gesamtauflage über eine halbe Million Exemplare) veröffentlicht, u.a. einen SPIEGEL-Bestseller, verfilmt mit Uwe Ochsenknecht. Im Oktober erscheint sein Themenheft DROGEN UND KRIMINALITÄT im Verlag deutsche Polizeiliteratur.


Was bedeutet die neue Gesetzgebung für den Umgang mit früheren Straftaten im Zusammenhang mit Cannabisbesitz?

Die Justiz muss nun alle Fälle, die nach dem neuen Gesetz aufgrund des „rückwirkend“ beschlossenen Straferlasses nicht mehr strafbar sind, zeitnah prüfen. Dies bedeutet für die ohnehin überlastete Justizverwaltung bei geschätzten 10.000 Fällen in Rheinland-Pfalz eine „Mammutaufgabe“ und laufende Verfahren können nicht (zügig) bearbeitet werden. Der rheinland-pfälzische Justizminister Mertin kritisierte die Bundesregierung, denn durch die geringe Zeitspanne zwischen dem Beschluss des Gesetzes und dem Inkrafttreten blieben den Bediensteten nur wenige Arbeitstage zur Prüfung. Laut Erklärung eines Pressesprechers des rheinland-pfälzischen Justizministeriums könne zurzeit nicht abgeschätzt werden, wie viele wegen Verstoßes gegen das „alte“ BtmG (Betäubungsmittelgesetz) in den Justizvollzugsanstalten inhaftierte Menschen durch eine Amnestie mit Inkrafttreten des Gesetzes aus dem Gefängnis entlassen werden müssten.

Was ist wirklich erlaubt, und was nicht?

Seit dem 1. April 2024 ist der Umgang mit der bis dato illegalen „Volksdroge“ unter den im „Gesetz zum kontrollierten Umgang mit Cannabis und zur Änderung weiterer Vorschriften (Cannabisgesetz – CanG)“ genannten Voraussetzungen erlaubt. Die wichtigsten Fakten aus dem umfangreichen Gesetz:

ab Vollendung des 18. Lebensjahres ist der Besitz von Cannabis von 25 Gramm Cannabis zum Eigenkonsum und am Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthaltsort sogar der Besitz von Cannabis bis zu 50 Gramm und der Anbau von drei Cannabispflanzen nicht mehr verboten. 

Cannabis aus dem privaten Eigenanbau darf jedoch nicht an Dritte weitergegeben werden und Schutzmaßnahmen im privaten Raum sollen den Zugriff durchDritte, insbesondereKinder und Jugendliche verhindern.

Es besteht ein generelles Konsumverbot in Gegenwart von Minderjährigen und somit ist das Kiffen auf allen „Volksfesten“ und weiteren öffentlichen Veranstaltungen, die auch von Kindern und Jugendlichen besucht werden, nicht erlaubt. Der öffentliche Konsum ist in Sichtweite von (1) Schulen (2) Kinderspielplätzen, (3) Kinder- und Jugendeinrichtungen, (4) in öffentlich zugänglichen Sportstätten, (5) in Fußgängerzonen zwischen 7 und 20 Uhr und (6) in Sichtweise militärischer Bereiche der Bundeswehr verboten. AlsSichtweite der in (1) bis (4) und (6) genannten Einrichtungen wurde mehr als 100 Meter vom Eingangsbereichfestgelegt.  Im Gesetz werden konkrete Voraussetzungen für die Erlaubnisals Anbauvereinigung („Cannabis Social Clubs“) mit höchstens 500 Mitgliedern beschrieben. Jedes 21jährige Mitglied darf höchstens 25 g Cannabis pro Tag und maximal 50 Gramm pro Monat erhalten, Heranwachsende höchstens 25 Gramm pro Tag und höchstens 30 Gramm Cannabis pro Monat. Die Cannabisabgabe an Heranwachsende darf einenTHC-Gehalt von 10 Prozent nicht überschreiten und die Anbauvereinigung hat insbesondere auf mögliche neurologische und gesundheitliche Schäden beim Konsum im Alter von unter 25 Jahren hinzuweisen.

Wie ist die Teilnahme am Straßenverkehr nach Cannabiskonsum geregelt?

Im CanG selbst wurden keine THC-Grenzwerte im Straßenverkehr explizit genannt, aber im Straßenverkehrsgesetz wurde ein THC-Grenzwert von 3,5 Nanogramm pro Milliliter Blutserum verankert, dies entspricht einem vergleichbaren Blutalkoholwert von 0,2 Promille. Das Autofahren nach Mischkonsum von Cannabis und Alkohol ist verboten.

Welche Erkenntnisse liefert der Bundeslagebericht Rauschgift des Bundeskriminalamtes bezüglich des Cannabiskonsums vor dem Inkrafttreten des Gesetzes?

Die Anzahl der Cannabis-Handelsdelikte ist 2023 um 6,7 % gestiegen. Dies entspricht einem Anteil von 60,5 % an allen Rauschgift-Handelsdelikten. Von den insgesamt 29.759 Tatverdächtigen (Steigerung von 3,0 %). waren 57,8 % deutsche Staatsangehörige. Unter den nichtdeutschenTatverdächtigen wurden in den meisten Fällen polnische (1.106), türkische (910) und syrische (809) Staatsangehörige registriert. 2023 wurden insgesamt ca. 20,9 t Marihuana und 3,7 t Haschischsichergestellt. Marihuana stammt in der Regel überwiegend aus westeuropäischem Indoor-Anbau. Insbesondere der professionelle Cannabisanbau durch OK-Gruppierungen in Spanien hat in den letzten Jahren deutlich zugenommen. und erneut wurden zahlreiche Cannabis-Großtransporte von Spanien über Frankreich Richtung Deutschland per Lkw und Kleintransporter festgestellt. Darüber hinaus gelangte Marihuana per Postversand – insbesondere aus Spanien und Albanien – und verstärkt per Container und Postversand aus Nordamerika auf den deutschen Markt. Bei dem in Deutschland sichergestellten Marihuanahandelte es sich in erster Linie um Blütenmaterial, dessen Wirkstoffgehalt in den letzten zehn Jahren geringfügig angestiegen ist (2013: 12,3 % median* 25; 2023: 14,4 % median).

Der Großteil des in Deutschland sichergestellten Haschischs kommt weiterhin aus Marokko und wurde über Spanien und Frankreich direkt oder über die Niederlande nach Deutschland verbracht. Anders als bei Marihuana hat sich der Wirkstoffgehalt des in Deutschland sichergestellten Haschischs in den letzten zehn Jahren mehr als verdoppelt (2013: 9,4 %; 2023: 26,6 % median).

2023 wurden insgesamt 450 Cannabis-Plantagen mit Anbaukapazitäten ab 20 Pflanzen sichergestellt, darunter 267 Kleinplantagen (213 Indoor, 54 Outdoor), 146 Großplantagen (133 Indoor, 13 Outdoor) und 37 Profiplantagen (36 Indoor, 1 Outdoor). Neben diesen Plantagen wurde eine Vielzahl kleinerer Anpflanzungen von Cannabis aufgefunden. Der Anbau von Cannabis-Pflanzen war in Deutschland bereits vor Inkrafttreten des CanG ein weit verbreitetes Phänomen.

Welche Herausforderungen gibt es bei der Durchsetzung des neuen Gesetzes und warum wurden die Warnungen von Fachleuten ignoriert?

Die Cannabisfreigabe führt meines Erachtens nicht zur Entlastung von Polizei und anderen Ordnungsbehörden. Der Cannabisanbau sowie Verkauf und Abgabe müssen kontrolliert werden und vor Ort kann kaum festgestellt werden, ob die Substanz legal oder illegal erworben wurde und wie soll die Polizei nun die Einhaltung der Regeln der 100m Sichtweite kontrollieren?

Es bleiben viele Fragen offen, über die sich die „Väter und Mütter dieses neuen Gesetzes“ offensichtlich keine Gedanken gemacht haben. Dies ist nicht verwunderlich, denn offensichtlich wurden die Rahmenbedingungen auf der Basis ideologisch geprägter Politik und weniger unter praktikablen Aspekten einer Umsetzung „festgeklopft“. Der GDP-Bundesvorsitzende Jochen Kopelke befürchtet »…, dass wir ausbaden müssen, was andere aus Unwissenheit über unsere Tätigkeiten mit einem Federstrich verändern können« und nennt Beispiele, über die sich die Politik offensichtlich keine Gedanken gemacht und sich gegenüber Fachleuten aus Justiz, Polizei und Suchtmedizin beratungsresistent gezeigt hat. Der Chef des Apothekerverbands Nordrhein hatte die Pläne der Ampel-Regierung kritisiert und Frank Ulrich Montgomery (Vorsitzender des Weltärztebundes) hatte sich ebenfalls gegen eine Legalisierung ausgesprochen. Der bundesweit anerkannte Suchtmediziner Prof. Thomasius hatte zum wiederholten Mal darauf hingewiesen, dass Cannabiskonsum in jungen Jahren das Hirn schädigt und er rate dringend davon ab vor dem 25 Lebensjahr zu konsumieren. Wäre daher zumindest eine Freigabe ab 25 Jahre nicht die logische Konsequenz gewesen? Die Aussage von Prof. Thomasius wird im CanG sogar bestätigt, denn Heranwachsende dürfen nur Haschisch mit einem THC-Gehalt von maximal 10 % erwerben. Erwachsene unbegrenzt? Und nun das Kuriose: laut Bundeslagebericht hat sich der THC-Gehalt bei Haschisch in den letzten zehn Jahren mehr als verdoppelt (2013: 9,4 %; 2023: 26,6 % median) und es wurde ein Mittelwert von 14,4 % bei Marihuana festgestellt. Wen würde es wundern, wenn die OK einen höheren THC-Gehalt für einen günstigeren Preis anbieten wird? Bei einem geschätzten Jahresumsatz der Drogenkartelle von mehreren hundert Milliarden US-Dollar(!) konnten zwar Verbote und repressive Maßnahmen bislang das Problem nicht lösen, aber wird eine Legalisierung den illegalen Cannabis-Drogenmarkt austrocknen oder die OK eher dazu „angefeuert“ im Wettbewerb mit dem Staat eine wesentlich bessere Qualität anzubieten? 

Welche Strategien gibt es zur Prävention von Cannabis-Missbrauch, insbesondere bei Jugendlichen?

Mir sind momentan keine „angepassten“ Präventionsmodelle bekannt und die im Gesetz genannten „angeblich neuen“ Maßnahmen gibt es schon länger. So soll die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung eine digitale Plattform errichten, auf der neben weiteren Informationen über die Risiken des Konsums aufgeklärt wird (geschieht schon seit zig Jahren) und das Angebot an cannabisspezifischen Präventionsmaßnahmen für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene mit Blick auf den Cannabiskonsum ausrichten (diese Modelle gibt es bereits).Meines Erachtens werden – losgelöst von einer „pro oder contra“ Einstellung zu dem neuen Gesetz – alle bisherigen Präventionsbemühungen bei Kindern und Jugendlichen ad absurdum geführt. Ich finde es – nett formuliert – amüsant, wenn der Kinder- und Jugendschutz durch einen Präventionsbeauftragten in den Anbauvereinigungen gesichert werden soll. Nach Vorgabe des Gesetzes soll diese Person über spezifische Beratungs- und Präventionskenntnisse verfügen, die sie in Seminaren der Fachstellen für Suchtprävention oder bei vergleichbar qualifizierten öffentlich geförderten Einrichtungen erworben hat.  

Glaubst du, dass die Legalisierung die Kriminalitätsrate in Bezug auf den organisierten Drogenhandel beeinflussen wird?

Befürworter sind „der festen Überzeugung sind“ (eine immer wiederkehrende Formulierung in der Politik), man könne dem Schwarzmarkt den Boden entziehen. Dabei verkennen sie, dass die Begrenzung des THC-Wirkstoffgehalts von 10 % für Heranwachsende die Drogenkartelle geradezu ermuntern wird, das Produkt nicht nur günstiger, sondern auch mit einem höheren THC-Gehalt anzubieten. Beim Blick in die polizeiliche Kriminalstatistik hätte man erkannt, dass bei den Sicherstellungen bereits 2022 ein durchschnittlicher Wert von 26 %THC Gehalt festgestellt wurde. Für welches Produkt wird sich der Konsument entscheiden, wenn er eine bessere Qualität zu einem günstigeren Preis kaufen kann?  

Und mir drängt sich unweigerlich die Frage auf, ob der mit äußerst brutalen Methoden eskalierende Bandenkrieg zwischen niederländischen und deutschen kriminellen Vereinigungen nicht bereits die erste Antwort der organisierten Kriminalität auf die Cannabis-Legalisierung ist, nachdem 300 Kilogramm Cannabis der niederländischen „Mocro-Mafia“ verschwunden sind? 300 Kilogramm mit einem hohen THC-Gehalt für Konsumenten, die zurzeit noch keinen legalen Stoff kaufen können?  Blüht der illegale Markt nach der Legalisierung auf, weil die Nachfrage derzeit (noch) nicht befriedigt werden kann?  Es ist naiv ernsthaft zu glauben oder (eher „blauäugig fernab jeder Realität“) zu hoffen, dass sich durch „Cannabis-Fachgeschäfte“ nur noch der legale Markt etablieren wird.

Was sind deine persönlichen Bedenken in Bezug auf die Legalisierung von Cannabis?

Auch nach dem Inkrafttreten des CanG bleiben – nicht nur für mich – viele Fragen offen. Ich bin kein absoluter Gegner einer Freigabe, denn bereits vor Inkrafttreten des Gesetzes wurden viele Verfahren wegen Geringfügigkeit eingestellt, aber hier wurde – handwerklich dilettantisch – der dritte Schritt vor dem ersten gemacht. Obwohl das Thema schon seit Jahren politisch diskutiert wurde, erweckt dieses Gesetz den Anschein, als sei es „mit heißer Nadel gestrickt“ worden, denn zurzeit gibt es keine Anbauvereinigungen und mit dem Anbau kann erst nach Erteilung einer Genehmigung begonnen werden wobei bis zur Ernte können je nach Cannabissorte mehrere Wochen, bei einigen sogar mehr als drei Monate, vergehen. Aus meiner Sicht ist der Besitz von Cannabis daher bis zu dem Zeitpunkt strafbar, wenn die Droge geerntet bzw. verkauft werden kann. Frauen und Männer im Polizeidienst bewegen sich meines Erachtens in einer rechtlichen Grauzone. Sie haben (und sind es immer noch) aufgrund des sogenannten „Legalitätsprinzips“ einen Strafverfolgungszwang und mussten bislang jedes Gramm Haschisch anzeigen, obwohl es schon länger übliche Praxis war, dass die Staatsanwaltschaften die meisten dieser Verfahren wegen Geringfügigkeit eingestellt haben. Es war insofern für viele in der Polizei frustrierend, nur für den „Papierkorb der Staatsanwaltschaft “ zu arbeiten, denn diese ist (bereits vor dem Gendern ein seltsames Wort) „Herrin des Ermittlungsverfahrens“.

Gibt es Aspekte des Gesetzes, die aus polizeilicher Sichte überarbeitet oder angepasst werden sollten?

Mit einem klaren Statement »…angesichts der gesundheitlichen Folgen etablierter Drogen warnen wir davor, die Tür für eine weitere Volksdroge zu öffnen … /… eine Legalisierung bringt keine Entlastung für die Polizei und es wird weiterhin einen “Schwarzmarkt” für Cannabis geben… “, hatte Bundesvorsitzender Jochen Kopelke bereits lange vor dem Inkrafttreten des CanG wiederholt den Standpunkt der GdP (Gewerkschaft der Polizei) vertreten, denn der Stoff  wird nicht harmloser, wenn man ihn legalisiert. Die Umsetzung und Kontrolle der Gesetzesänderung wird schwieriger werden als wir das momentan erahnen. SPD-Bundesgesundheitsminister Lauterbach hatte – nach jahrelanger Ablehnung (!) und vermutlich wider besseres Wissen (?) – der Forderung der Koalitionspartner zugestimmt. Hat der ehemals vehemente Gegner einer Freigabe sich dem „Koalitionszwang“ unterwerfen müssen und ist er wirklich „der festen Überzeugung“ (übrigens eine äußert beliebte Floskel bei Politikerinnen und Politikern), dass eine Freigabe ein richtiger Schritt in die richtige Richtung ist?

Wie stellst du dir die Präventionsarbeit im Kontext der Drogenpolitik vor?

Die Freigabe führt alle bisherigen Präventionsbemühungen an Schulen und Jugendeinrichtungen ad absurdum. Die Absichtserklärung, man werde die Einnahmen der Cannabissteuer (ca.1 Milliarde Euro) für Präventionsmaßnahmen und Suchtbehandlung einsetzen, bezweifle ich nach Erfahrungen mit (sich an Legislaturperioden orientierten) Präventionsprojekten. Eine Freigabe ist meines Erachtens eher die „Einladung zum Konsum“ und konterkariert den in diesem Zusammenhang oft zitierten Jugendschutz. Ein derartig ideologisch geprägtes Experiment sendet ein falsches Signal an junge Menschen und ich befürchte daher einen Anstieg des Konsums, da Kindern und Jugendlichen suggeriert würde, Cannabis sei eine harmlose Substanz.