Im vergangenen Artikel unserer Serie „Wie entsteht ein Game?“ haben wir uns mit dem Thema Marketing für Indie-Spielestudios beschäftigt. Diesmal soll es um das daran anschließende Thema Vertrieb gehen. Wenn ihr durch einen der vielen Elektronikmärkte geht, ist euch vielleicht aufgefallen, dass PC-Spiele immer weniger Regalfläche bekommen. Während Konsolenspiele vielfach noch ganze Regalreihen ausfüllen, gibt es häufig noch wenige kleine Ecken, in denen klassische Computerspiele zum Verkauf angeboten werden. Warum ist das so? Dieser Frage sind wir einmal gemeinsam mit Spieleentwickler Dr. Johannes Mattmann von Andarion Games nachgegangen.

In den vergangenen 20 Jahren ist auf dem PC ein signifikanter Wandel im Spielevertrieb passiert. Während sie auf Smartphones heutzutage alle Apps aus den herstellereigenen App-Stores beziehen können, gibt es eine entsprechende Anlaufstelle auf PCs klassischerweise nicht. Zwar bieten Hersteller wie Microsoft selbst oder manche Dritt-Anbieter eigene Downloadstores an, diese erreichen jedoch nicht die Marktdurchdringung wie im Mobile-Bereich. Anders sieht es im Bereich PC Spiele aus. Das Marktgeschehen wird hier seit vielen Jahren dominiert vom Anbieter Valve mit der Plattform Steam. Steam ist nicht alleine ein digitaler Marktplatz, sondern auch eine Community-Anlaufstelle, ein technisches Framework und ein Gaming-Ökoystem. Dieser Stellenwert macht es neuen Wettbewerbern schwer, sich neu im Markt zu etablieren. Einzelne Publisher sowie wenige spezialisierte Firmen bieten Alternativen an, diese erreichen jedoch bei weitem nicht denselben Marktanteil. Zu nennen sind hier GOG von CD Project Red, der Epic Games Store von Epic Games und rein anbieterbezogene Stores wie EAs Origin.

Wenn man heute ein Spiel auf den Markt bringen möchte, ist der Verkauf über einen Online-Store der vermutlich wichtigste Absatzkanal. Damit ist es entscheidend, dass sie auf den relevanten Plattformen vertreten sind und gut aufgefunden werden – das Äquivalent einer (guten) Regalplatzierung im klassischen Elektronikmarkt. Dieser Weg bleibt kleinen Indie Teams versperrt, da ihnen die nötigen Budgets sowie häufig die Manpower und Fähigkeiten hierfür fehlen. Dennoch haben sich in diesem Markt die Gewichte verschoben: konnten früher nur große Publisher wie Electronic Arts oder Ubisoft Produkte international in den Handel, d.h. in die Regale der Händler bringen, ist es heute auch dem kleinsten Studio möglich, über digitale Downloadplattformen Kunden überall auf der Welt zu erreichen. Den Publisher kommt somit eine neue Rolle zu und Indie Teams stehen vor der Frage, ob sie die Veröffentlichung in Eigenregie oder unterstützt durch einen klassischen Publisher bewältigen möchten. Wir haben uns auch in dieser Ausgabe wieder an das Mainzer Spielestudio Andarion Games gewandt und fragen den Geschäftsführer Herrn Dr. Mattmann, wie das Unternehmen seine Produkte vertreibt:

„Wir setzen von Anfang an auf Self-Publishing, d.h. auf den eigenen Vertrieb über digitale Plattformen“, so Geschäftsführer Dr. Mattmann. „Die Größe unserer Projekte ist für Publisher selbst aus dem Indie-Bereich nicht attraktiv und gleichzeitig möchten wir möglichst die volle Gestaltungsfreiheit auch in der Vermarktung unserer Produkte haben.“

Wie gut die Strategie des Mainzer Unternehmens aufgeht, werden erst die nächsten Monate zeigen. Zwar ist bereits ein Bildungstitel des Unternehmens im Selbstverlag auf digitalen Plattform erhältlich, der Release des ersten Unterhaltungsprodukts aus dem Hause Andarion Games steht jedoch noch aus. „Wir sind zuversichtlich, dass wir mithilfe unseres Online-Marketings sowie durch den Aufbau einer Community um unser kommendes Spiel CtrlC in der Lage sein werden, den Vertrieb auch ohne Publisher zu meistern“, so erklärt uns Herr Mattmann die Unternehmensstrategie.

Digitales Self-Publishing bedeutet in den meisten Fällen, dass Spiele zunächst auf der Plattform Steam erscheinen und gegebenenfalls später ihren Weg auf Plattform wie OG, Humble Bundle, Epic Games oder itch.io finden. Einige dieser Plattform kommen den Entwicklern entgegen und erlauben die komplette Veröffentlichung in Eigenregie, während andere einen kuratierten Ansatz verfolgen.

Nicht unerwähnt bleiben sollen Reseller-Portale wie G2A und Bundle-Anbieter. Diese haben zwar nur bedingt eine Bedeutung für Entwickler und Publisher, wohl aber für den Käufer. Wenn das eigene Spiel in hochkarätigen Bundles enthalten ist, ist dies sowohl eine werbewirksame als auch eine umsatzbringende Chance für Spielefirmen.

Reseller haben jedoch eine schwierigere Position: Zum Teil werden dort zu günstigen Konditionen entstandene Keys, d.h. Schlüssel, die den Zugang zu Spielen über digitale Plattformen ermöglichen, zu weit günstigeren Preisen als regulär angeboten. Während dieses Angebot aus Sicht der Spieler natürlich verlockend ist – wer würde nicht gerne weniger für dasselbe Produkt bezahlen? – so schädigt es doch die Anbieter, d.h. die Entwickler der Spieler insofern, als sie für ihr Produkt jeweils weniger Einnahmen erhalten. Gerade im Indie-Bereich, wo Budgets in der Regel sehr knapp kalkuliert sind, kann dies im schlimmsten Fall dazu führen, dass Unternehmen aufgeben müssen.

„Meine Faustregel dazu ist: am besten kauft man Spiele dort, wo der Entwickler oder sein Publisher sie selbst anbieten”, so Herr Mattmann. Wird ein Online-Store auf der Website zum Spiel verlinkt, so kann man davon ausgehen, dass der Vertriebskanal für die Kalkulation des Entwicklers sinnvoll ist.

Zum Abschluss unser Tipp: Falls ihr online Computerspiele kauft, schaut auch mal abseits der ausgetretenen digitalen Pfade. Epic Games bietet jede Woche in der Regel ein kostenfreies Spiel zum dauerhaften Behalten als Download an. GOG spezialisiert sich auf kopierschutzfreie Spiele und hat viele Indie-Titel und Klassiker im Angebot. Humble Bundle bringt regelmäßig Pakete nach Thema oder Genre gruppierter Spiele zu günstigen Preisen heraus und Itch.io ist so etwas wie die Untergrund-Kreativwerkstatt der Industrie.