Vertrauen ist gut. Kontrolle ist besser, lautet ein bekanntest Sprichwort. Das nun auch (wieder) in der Arbeitswelt anzukommen scheint. Ist damit eine Home-Office-Pflicht, wie sie noch während der Zeit im Corona-Lockdown und darüber hinaus gefordert wurde, nun vom Tisch? Oder wie geht es mit fortschrittlichen Vertrauensarbeitszeitmodellen weiter? Ist das neue Gesetz ein Schritt zurück aus der modernen Arbeitswelt?

Das Bundesarbeitsministerium kündigte an, die Arbeitszeiterfassungspflicht noch 2022 gesetzlich zu verankern und somit dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), den sogenannten „Stechuhr-Urteil“ von 2019 umzusetzen. Im Arbeitsrecht war bisher nur vorgeschrieben, dass Überstunden und die Arbeitszeit an Sonn- und Feiertagen erfasst werden müssten. Am 13. September 2022 bestätigte das Bundesarbeitsgericht (BAG) jedoch, dass in Deutschland eine Pflicht zur Arbeitszeiterfassung besteht. Die neue Gesetzgebung fordert also eine komplette Zeiterfassung. Aktuell wird durch die neue Entscheidung das Arbeitszeitgesetz geprüft und überlegt, inwiefern flexible Arbeitsmodelle und Vertrauensarbeitszeiten noch möglich sind.

Die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung

Schon seit Jahren haben sich Politik und Wirtschaft heftige Debatten zum Thema Arbeitszeiterfassung geliefert. Das neue Urteil hat dem nun ein Ende bereitet. Denn die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung – über die Überstunden und Sonn- und Feiertagsarbeit hinaus – ist inzwischen verpflichtend. Die Präsidentin des höchsten deutschen Arbeitsgerichts, Inken Gallner, begründete die Pflicht zur Zeiterfassung mit der Auslegung des deutschen Arbeitsschutzgesetzes nach dem sogenannten Stechuhr-Urteil des Europäischen Gerichtshofs aus 2019. Demnach seien Arbeitgeber dazu verpflichtet, ein System einzuführen, mit dem die von den Arbeitnehmern geleistete Arbeitszeit erfasst werden kann. “Wenn man das deutsche Arbeitsschutzgesetz mit der Maßgabe des Europäischen Gerichtshofs auslegt, dann besteht bereits eine Pflicht zur Arbeitszeiterfassung”, sagte sie in der Verhandlung.

Zurück zum Stempeln?

Um die Arbeitszeiten der Beschäftigten genau zu erfassen, wird das „Stempeln“ also wieder zurück in den Alltag einkehren, wenn auch anders als früher. Sehr viel wahrscheinlicher wird dies künftig elektronisch durchgeführt. Viele Unternehmen, in denen immer mehr flexible Arbeitsmodelle angeboten werden, müssen eine geeignete Lösung für sich und ihre Mitarbeiter finden.

Das Ende des mobilen Arbeitens?

Das was für viele als ein Verlust der Errungenschaft moderner und flexibler Arbeitszeitmodelle ausschaut, ist vor allem ein Schutz vor Fremd- und Selbstausbeutung. Denn insbesondere die Arbeit im Home-Office, die viel zu selten in Stunden dokumentiert wird, schützt nicht vor Überstunden, es macht sie sogar noch umfänglicher, nach außen nicht ersichtlich. Durch die Arbeitszeiterfassung sollen Ruhe- und Höchstarbeitszeiten künftig besser eingehalten werden.

Das bedeutet jedoch keineswegs ein Ende von Vertrauensarbeitsmodellen wie mobiles Arbeiten und Homeoffice. Nie war die digitale Zeiterfassung wohl einfacher zu lösen wie heute im 21. Jahrhundert. Es widerspricht jedenfalls nicht dem Bedürfnis nach flexibler Arbeitszeitgestaltung und kann auch im Home-Office prima angewendet werden. Ob man im Büro oder am heimischen Laptop auf Ein- und Auschecken klickt, sollte keine Rolle dabei spielen.

Lediglich die realen Arbeitszeiten bleiben so sichtbar und schaffen damit sowohl für Mitarbeiter als auch die Unternehmen eine Transparenz, die eine vertrauensvolle Zusammenarbeit ermöglicht und eventuellen Hindernissen direkt entgegenzusteuern. Die Arbeitssituation kann dadurch viel schneller verbessert werden als noch zuvor. Denn immerhin werden Überstunden dadurch nicht augenblicklich abgeschafft, sondern nur nach außen erkennbar.