Im Rahmen der diesjährigen Koblenzer Literaturtage GanzOhr haben wir die Schweizer-Buchpreis-Trägerin Julia Von Lucadou mit ihrem kürzlich erschienenen Roman »Tick Tack« in der Buchhandlung Reuffel erlebt und uns mit ihr unterhalten, unter anderem über dier Idee und den Entstehungsprozess zu ihrem Erfolgsbuch »Tick Tack«, und was sie an dem darüberstehenden Thema so interessiert.
Sie haben Film und Theater studiert, waren auch als Produzentin und Simulationspatientin tätig. Was genau verbirgt sich denn dahinter und wie kamen Sie dazu, aus diesem Weg auszubrechen und Schriftstellerin zu werden?
Simulationspatientin ist ein sehr spannender Beruf! Man spielt dabei eine Patientin für Studierende der Medizin – bei Prüfungen und sogenannte Kommunikationstrainings, wo die Studierenden lernen, wie man z.B. schwierige Diagnosen vermittelt. Dabei erfährt man sehr viel über menschliche Kommunikation und Empathie. Die Schauspielerfahrung nutze ich auch beim Schreiben, wenn ich mich in meine Protagonist*innen hineinversetze und ganz in ihre Gefühls- und Gedankenwelt eintauche.
Meine Arbeit im Film und Fernsehbereich hat mir ebenfalls viel fürs Schreiben gebracht. Ich stelle mir die Szenen, die ich schreibe, sehr bildlich, fast filmisch, vor. Dass ich Schriftstellerin geworden bin, hat vor allem damit zu tun, dass ich begonnen habe, mit dem unerbittlichen Leistungsanspruch des Berufs zu hadern. Ich hatte den Eindruck, immer verfügbar und hochproduktiv sein zu müssen, um etwas wert zu sein. Die “Hochhausspringerin” war für mich ein Weg, diesen Leistungsanspruch zu reflektieren und herauszuarbeiten, was er mit der Gesellschaft zu tun hatte, in der wir leben.
Sowohl in „Die Hochhausspringerin“ als auch in „Tick Tack“ spielt die Welt der Sozialen Netzwerke eine große Rolle. Tut sie das auch in Ihrem Leben?
Ich finde die Sozialen Netzwerke sehr spannend, weil sie ein sehr zentrales Medium unserer Gegenwart sind. Ich selbst bewege mich nicht aktiv in den sozialen Medien, aber ich beobachte aufmerksam, was dort passiert, weil ich es gesellschaftlich relevant finde. Mich interessiert, wie neue Medienformen die menschliche Kommunikation beeinflussen und formen, im Positiven wie im Negativen.
Was hat Sie zur Idee Ihres neuen Buches bewogen und worum geht es darin genau?
“Tick Tack” handelt von einem jungen Mädchen, Mette, das wütend und verunsichert ist und sich nach Aufmerksamkeit sehnt. Ein zehn Jahre älterer Mann, Jo, nutzt diese Sehnsucht aus und verspricht ihr, sie in den sozialen Medien groß rauszubringen. Er beginnt, Einfluss auf ihre Denkweise zu nehmen und sie zu seiner Handlangerin zu machen in einem Kampf gegen den sogenannten Mainstream.
Im Roman geht es um die digitale Verbreitung von Verschwörungstheorien, die durch die Corona-Pandemie an Zulauf gewonnen haben. Strömungen wie QAnon oder die Impfgegner-Bewegung. Wie es solchen Theorien gelingt, intelligente Menschen emotional zu manipulieren, fasziniert mich. Im Roman gehe ich der Frage nach, wie eine solche Radikalisierung möglich ist.
Beide ihrer Bücher sind ziemlich gesellschaftskritisch geschrieben. Wen möchten Sie damit konkret erreichen und was in den Lesern auslösen?
Was ich an Literatur liebe, ist es, dass es ihr gelingt, bei den Leser*innen Mitgefühl auszulösen für Figuren, die oft ganz anders sind als sie selbst. Gerade in Zeiten der andauernden Krisen und der gesellschaftlichen Spaltung finde ich es wichtig, uns an die Menschlichkeit zu erinnern, die uns verbindet, und Verständnis für andere aufzubringen.
Für welche Altersgruppe ist „Tick Tack“ zu empfehlen?
Da gibt es keine Altersbegrenzung! Man sollte sich auf jeden Fall nicht von der jungen Sprache abschrecken lassen. Gerade wenn man nicht so viel im Internet oder den sozialen Medien unterwegs ist, bietet der Roman einen Einblick in diese Welt, und ist vielleicht ein Weg, diese “Fremdsprache” zu lernen.
Vielen Dank Julia Lucadou, dass Sie uns für Fragen zur Verfügung standen.
Bild: Julia von Lucadou @Guido Schiefer