Wie können wir ihn bekämpfen?

Expertin: Andrea Nahles, Vorsitzende des Vorstandes der Bundesagentur für Arbeit

Wir haben uns mit Andrea Nahles, Vorsitzende des Vorstandes der Bundesagentur für Arbeit, über den Fachkräftemangel in unserem Land unterhalten und sie gefragt, wie wir ihn bekämpfen können. Lest hier mehr.

Frau Nahles, wie bewertet die Bundesagentur für Arbeit die aktuelle Situation des Fachkräftemangels in Deutschland und welche Branchen oder Regionen sind davon besonders betroffen?

Fachkräfte sind in fast jedem siebten Beruf knapp. In unserer neuesten Engpassanalyse, in der wir das Jahr 2023 auswerten, haben wir in 183 von 1.200 Berufe Engpässe festgestellt. Die Engpässe haben wir vor allem im Bereich der Pflege- und Gesundheitsberufe, in Handwerksberufen und in IT-Berufen. Aber auch Berufskraftfahrerinnen und Berufskraftfahrer und Erzieherinnen und Erzieher werden händeringend gesucht. Das gilt bundesweit.

Welche Strategien verfolgt die Bundesagentur für Arbeit, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken, insbesondere in Bezug auf die Gewinnung von ausländischen Fachkräften?

Die Fachkräftesicherung ist eine der entscheidenden Zukunftsfragen für unsere Wirtschaft und den Arbeitsmarkt. Das liegt einerseits an der Demografie, aber auch an der Transformation. Es gibt aber nicht „die eine“ Lösung dafür. Wir müssen an mehreren Stellen parallel ansetzen.
Als erstes müssen wir im eigenen Land auf unsere Potentiale schauen und sie voll ausschöpfen. Wie können wir zum Beispiel die Erwerbsbeteiligung von Frauen erhöhen? Wir sind dabei zwar nicht mehr Schlusslicht in Europa, aber wir haben immer noch viel zu viele Frauen, die in Teilzeit arbeiten. Da verschenken wir noch zu viel!Wie können wir für einen besseren Übergang von der Schule in den Beruf sorgen, damit möglichst wenig junge Menschen ohne Qualifikation dastehen? Wie können wir beschäftigte und arbeitslose Menschen qualifizieren, und was braucht es, um ältere Menschen länger im Beruf zu halten?
Woran man in dem Kontext vielleicht gar nicht so schnell denkt, sind Digitalisierung und Automatisierung. Wir müssen überlegen, wo wir sinnvoll automatisieren können, wenn uns die Leute fehlen. Wo kann man vielleicht Daten automatisch einlesen oder verarbeiten, so dass die Mitarbeitenden Zeit für die Tätigkeiten haben, die keine Maschine erledigen kann.
Aber selbst wenn wir bei all diesen Punkten erfolgreich sind wird das nicht reichen: Wir brauchen Fach- und Arbeitskräfte aus dem Ausland.
Wir haben dabei als BA drei wichtige Aufgaben: Wir beraten Menschen, die sich eine Arbeit hier in Deutschland vorstellen können. Wir haben eine wichtige ordnungspolitische Funktion – wir sind nämlich für die  Arbeitsmarktzulassung zuständig. Dabei prüfen wir Arbeitsverträge und Beschäftigungsbedingungen, etwa Löhne oder Urlaubsansprüche, und sorgen damit für faire Rahmenbedingungen. Außerdem schließen wir, ergänzend zur Selbstrekrutierung der Unternehmen, Abkommen mit bestimmten Ländern ab, um den Weg für faire Fach- und Arbeitsmigration nach Deutschland zu ebnen.
Das klingt erstmal unspektakulär. In Zahlen heißt das aber: Wir haben pro Jahr über 230.000 Kontakte zu Zuwanderungsinteressierten und wir entscheiden über mehr als 450.000 Arbeitsmarktzulassungen. Und wir wollen uns natürlich noch steigern.

Inwiefern fördert die Bundesagentur für Arbeit die Aus- und Weiterbildung von inländischen Arbeitskräften, um den Fachkräftemangel langfristig zu adressieren und die Abhängigkeit von ausländischen Fachkräften zu verringern?

Wir hatten 2023 ein Beschäftigungswachstum von 264.000 Personen – und das ist zum ersten Mal ausschließlich von ausländischen Beschäftigten getragen worden. Die Zahl der Beschäftigten mit deutscher Staatsangehörigkeit ist dagegen um 77.000 gesunken – vor allem aus demografischen Gründen. Ohne ausländische Fach- und Arbeitskräfte geht es also gar nicht!

Die Qualifizierung ist – wie schon gesagt – einer unserer Stellhebel. Aber eben nur einer, und um den zu bedienen, versuchen wir z.B. unsere Fördermöglichkeiten bekannter zu machen und die Förderinstrumente zu vereinfachen. Viele Betriebe und Beschäftigte wissen gar nicht, dass wir auch bei der Weiterbildung von Menschen im Job beraten und unterstützen: Wir haben z.B. inzwischen eine Berufsberatung für Beschäftigte. Damit unterstützen wir Menschen, die schon einen Job haben, dabei, sich zu qualifizieren, wenn sich ihre Arbeitsplätze verändern. Wir helfen damit auch Unternehmen, die Transformation in ihrem Betrieb erfolgreich zu gestalten – und zwar mit ihren Beschäftigten.

Seit 2019 haben wir durchschnittlich 35.000 neue Förderungen pro Jahr – da geht noch mehr, aber mit diesen Zahlen müssen wir uns auch nicht verstecken.

Welche Rolle spielt die arbeitsmarktpolitische Zusammenarbeit auf internationaler Ebene, insbesondere im Kontext von Fachkräftemangel und arbeitsbedingter Migration? (In vielen Ländern herrscht kein Fachkräftemangel…)

Sie ist ein Teil unserer Strategie für das internationale Geschäft.  Wir haben verschiedene Projekte zur Gewinnung von Fachkräften und Auszubildenden in ausgewählten Ländern und Berufen. Dazu treffen wir Vereinbarungen mit Partnerländern, die selbst ein Interesse an der Förderung von Erwerbsmigration nach Deutschland haben und bauen Netzwerke auf.  Wenn wir solche Kooperationen aufbauen, dann ist die Leitmaxime für uns immer die Faire Migration. Deshalb sind wir da auch nicht willkürlich unterwegs, sondern haben eine ausführliche Analyse gemacht, um geeignete Länder zu identifizieren. Dazu gehören z.B. Kolumbien, Mexiko, Ägypten, Tunesien oder auch Indonesien und Indien.

Wie unterstützt die Bundesagentur für Arbeit Unternehmen bei der Integration von ausländischen Fachkräften in den deutschen Arbeitsmarkt und welche Herausforderungen gibt es dabei?

Unsere Kolleginnen und Kollegen in den Arbeitgeber-Services beraten Unternehmen zu den Möglichkeiten, Fachkräfte und Auszubildende aus dem Ausland zu rekrutieren. Und die haben tatsächlich oft viele Fragen, manche auch Vorbehalte, z.B. weil Prozesse komplex sind und Unternehmen nicht sicher sind, ob die neu zugewanderten Personen auch bleiben. Das ist eine der Herausforderungen. Wir bauen auch das digitale Geschäft aus, damit ausländische Fachkräfte und deutsche Arbeitgeber besser zusammenfinden.

Eine andere Herausforderung ist, dass wir einem Unternehmen in der Regel nicht von heute auf morgen eine ausländische Fachkraft präsentieren können, die übermorgen die Arbeit aufnimmt. Trotz des neuen Fachkräfteeinwanderungsgesetzes muss man leider sagen: die Prozesse dauern noch sehr lange, auch das Erlernen der deutschen Sprache erfordert viel Zeit. Da wo wir etwas tun können, tun wir es – Stichwort „digitales Geschäft“: die Arbeitsmarktzulassung funktioniert bei uns inzwischen online. Aber es gibt andere Aspekte, Anerkennung, Visa, etc. – wo wir eben nichts tun können um die Dinge zu beschleunigen.

Wir müssen deshalb häufig noch Überzeugungsarbeit leisten, dass es sich lohnt auf Fachkräfte aus dem Ausland zu setzen.