Wir haben anlässlich seiner Lesung im Rahmen der Koblenzer Literaturtage ganzOhr im März die Möglichkeit genutzt ein Interview mit dem syrisch-deutschen Schriftsteller Rafik Schami, einer der erfolgreichsten Schriftsteller der interkulturellen deutschen Literatur, zu führen. Eines in dem er sich bewusst kurz hielt. Seine Anmerkung: Liebe Katharina Göbel-Backendorf. Jede Ihrer Frage könnte ein Thema für eine Masterarbeit geben, da ich aber nicht so viel Zeit habe, muss ich mich kurzfassen. Das ist auch gut für die Leserinnen und Leser.

Sind Märchen noch zeitgemäß – und wo liegt Ihrer Ansicht nach ihr Zauber?

Rafik Schami: Märchen sind meiner Meinung nach keine Modeerscheinung, die auffällig kommen und unauffällig verschwinden, sondern ein Erzeugnis der Bedürfnisse des Menschen, seitdem er sprechen kann. Die Sehnsucht nach Gerechtigkeit, das Traumhafte und Magische übten und üben eine unwiderstehliche Faszination auf uns alle aus.

Wo liegt für Sie der größte Unterschied zwischen orientalischen Märchen und deutschen?

Rafik Schami: Es gibt gar keinen Unterschied, das kommt daher, dass die Märchen nomadenhaft wandern und immer Spuren von der besuchten Kultur mit und in sich tragen. Doch bei deren schriftlichen Fixierung traten, je nach Epoche und Herrschaftssystem, Veränderung Richtung Zensur, Religiosität oder Pädagogik à la:… und die Moral der Geschichte.

Ihr neues Buch „Wenn du erzählst, erblüht die Wüste“ beweist wieder einmal, welch hervorragender Geschichtenerzähler in Ihnen steckt. Ist das ein Talent oder kann man sich dieses durch handwerkliche Übung auch aneignen?

Rafik Schami: Ich denke, es muss schon etwas in jemandem stecken, das ihn dazu bewegt, zu erzählen – manchmal sogar unter Lebensgefahr, aber dazu muss man viel üben. Es gehört beim Schreiben dazu, selbstkritisch zu sein und nie einen Text nach einer einzigen Formulierung abzugeben, sondern ihn liegenzulassen und nach einem zeitlichen Abstand noch einmal, oder auch mehrmals, kritisch zu lesen. Beim mündlichen Erzählen braucht man ein sehr gutes Gedächtnis, eine gute Stimme und – vor allem – Respekt vor dem Publikum.

Wie sah Ihr Zugang zur Literatur aus?

Rafik Schami: Ich las mich quer durch die Bibliothek meines Vaters und lernte auf der Gasse das freie Erzählen. Mein Publikum war gnadenlos, daher lernte ich mich sehr gut vorzubereiten.

Hat sich Ihr Schreiben in deutscher Sprache zu dem in Ihrer Muttersprache verändert? Wenn ja, inwiefern?

Rafik Schami Oberflächlich betrachtet ändert sich die Form, da die deutsche Sprache anders als die arabische Sprache ist, doch der Inhalt, die Dramaturgie des Textes ändert sich mit, denn die Sprache ist nicht nur die Hülle des Inhalts, sondern auch eines seiner wichtigen Bestandteile.

Welche Art der Literatur lesen Sie heute und wann?

Rafik Schami: Wenn ich nicht für meinen nächsten Roman recherchiere (was ich z.Z. auf den langen Zugfahrten tue), lese ich relativ breit gefächert, nicht selten drei Bücher parallel und zu jeder Zeit. Mein einziger Anspruch ist, sei es bei einem Sachbuch oder Roman, dass das Buch mich nicht langweilen darf. Ich gebe jedem Buch die Frist von fünfzig Seiten, entweder hat es mich oder ich habe es nicht mehr.

Sie haben zahlreiche Literaturpreise gewonnen, welche/r haben Ihnen persönlich am meisten bedeutet und weshalb?

Rafik Schami Immer der jeweils jüngste Preis, weil die Dankrede, die ich bei Preisen halte, mich lange vorher und danach noch beschäftig. So z.B. bei meinem jüngsten Literaturpreis, der Carl-Zuckmayer-Medaille, bei dem ich über die sieben Schulen berichtete, durch die ich gegangen bin, um der Erzähler zu werden, den ich heute bin

„Wenn du erzählst, erblüht die Wüste“ ist Ihr 26. Buch. Erzählen Sie unseren Lesern doch ein wenig über Ihr neues Buch.

Rafik Schami: Es ist ein Roman, geschrieben im 19. Jahrhundert, den ich übersetzt und neu erzählt habe. Es geht um die Zauberwirkung des Erzählens, die unsere traurigen, einsamen oder auch mit Problemen beladenen Seelen zum Aufblühen bringt.

Wer Ihre Bücher liest, taucht tief in ganz fremde Welten ein. Wie schreiben Sie? Ziehen auch Sie sich dafür in Ruhe zurück oder wie gelingt es Ihnen, so intensiv in ihre Geschichte einzutauchen?

Rafik Schami: Was für eine schöne Frage! Sie haben recht, wenn ein Erzähler nicht selbst in seine Geschichte eintaucht und mit seinen Heldinnen und Helden lebt, kann er sein Publikum nicht auf eine poetische Reise durch die Geschichte mitnehmen. Da ich mich selbst bei Geschichten sehr schnell langweile, meide ich jedwede Langeweile, sodass ich bald wirklich im Roman lebe. Nicht selten muss ich aufhören zu schreiben, weil ich sehr traurig werde (beim Tod einer sympathischen Figur oder bei der Trauer einer anderen im Gefängnis) oder weil ich mich so krummlache, dass ich keinen vernünftigen Satz mehr aufs Papier bringen kann. Dann mache ich eine kurze (oder lange) Pause. Beim freien Erzählen auf der Bühne halte ich es durch, da ich den Text zigmal vorbereit habe – das Publikum ist ja schließlich nicht gekommen, um einen heulenden oder sich vor Lachen auf dem Boden krümmenden Autor zu erleben.

Vielen Dank, Rafik Schami für die Zeit, die Sie sich für unsere Fragen genommen haben und die Mühe sich kurz zu fassen. 😉