Elternsein macht glücklich. Sollte man meinen. Doch offenbar geraten vor allem Mütter und Väter immer mehr unter Druck – und Schuld daran sind nicht allein gelegentliche Familienstreits am Frühstücks- oder Abendtisch. Laut einer forsa-Umfrage im Auftrag der Kaufmännischen Krankenkasse (KKH) fühlen sich aktuell 62 Prozent der Eltern mit minderjährigen Kindern häufig oder sogar sehr häufig gestresst. Genau zwei Drittel sagen darüber hinaus, der Stress habe in den vergangenen ein bis zwei Jahren zugenommen. Besonders alarmierend: Fast 70 Prozent der befragten Eltern fühlen sich infolge hoher Belastungen mitunter erschöpft oder ausgebrannt. Fast 40 Prozent waren in stressigen Situationen schon einmal niedergedrückt oder depressiv. 2019 lagen die Anteile noch deutlich darunter. Wir sind dem sogenannten „Eltern-Burnout“ einmal auf den Grund gegangen.

Forsa-Umfrage Ergebnisse

Das Meinungsforschungsinstitut forsa hat im Auftrag der Kaufmännische Krankenkasse vom 2. bis 16. Januar 2024 sowie im November 2019 deutschlandweit jeweils 1.000 Eltern mit Kindern unter 18 Jahren online repräsentativ befragt und diesen Anstieg des Stresslevels bei Eltern festgestellt.  „Der große Anstieg ist ein Warnsignal. Wir müssen diese Entwicklung sehr ernst nehmen“, betont Dr. Aileen Könitz, Expertin für psychiatrische Fragen bei der KKH. „Dauerstress kann unsere Gesundheit stark beeinträchtigen, da er häufig ein anhaltendes Gefühl der Hilflosigkeit, Überforderung oder gar Verzweiflung hinterlässt. Das wiederum kann zu chronischer Erschöpfung, Depressionen und Angststörungen führen oder bestehende psychische Erkrankungen weiter verstärken.“

Von wegen das bisschen Haushalt!

Doch was ist es, was Eltern so enorm unter Druck setzt? Laut aktueller Umfrage stehen an erster Stelle gesellschaftliche Themen wie die politische Lage, Klimawandel und Preissteigerungen alltäglicher Dinge. Dies empfindet die Hälfte der Eltern als besonders stressig. Weitere große Stressfaktoren sind die Erziehung und Betreuung der Kinder (48 Prozent), die Arbeitsbelastung im Haushalt (46 Prozent) und die Angst um die Zukunft des Nachwuchses (44 Prozent). Mit etwas Abstand folgen die eigene Ausbildung oder der Beruf (37 Prozent) sowie Konflikte in der Familie (36 Prozent). Gut ein Viertel der Eltern belasten finanzielle Sorgen (29 Prozent), die Digitalisierung inklusive technischer Neuerungen und ständiger Erreichbarkeit immerhin 17 Prozent.

Insbesondere die Arbeitsbelastung im Haushalt ist aktuell häufiger Ursache für Stress als noch vor fünf Jahren. Mittlerweile fühlen sich knapp zwei Drittel der Mütter (63 Prozent) dadurch unter Druck gesetzt. 2019 waren es noch rund 40 Prozent. Während bei den Vätern die Quote dabei immer noch deutlich niedriger ausfällt, fühlen die sich aktuell mehr durch Erziehung und Betreuung der Kinder, Konflikte in der Familie und finanzielle Sorgen belastet.


Sind Mütter schneller gestresst oder stärker belastet? 

In vielen Familien sind beide Eltern berufstätig, denn Kinder zu haben und dabei einen gewissen Lebensstandard halten zu können, ist heutzutage sehr kostenintensiv. Laut Statistischem Bundesamt leisten Frauen nicht nur rund 44 Prozent mehr unbezahlte Sorgearbeit als Männer -dazu zählen Haushaltstätigkeiten und Kinderbetreuung – inzwischen sind auch knapp 70 Prozent der Mütter minderjähriger Kinder berufstätig. Das bedeutet im Klartext: Müssen beide Elternteile den Spagat zwischen Beruf und Familie meistern, ist eine noch gezieltere Organisation durch genauere Absprachen unbedingt nötig. Das wiederum birgt jedoch häufig neues Konfliktpotenzial und somit zusätzlichen Stress.

Gleichzeitig gibt es immer mehr Eltern, die den Berg an Aufgaben allein bewältigen müssen: In Deutschland leben laut Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend mehr als acht Millionen Familien mit minderjährigen Kindern. Davon sind 18 Prozent alleinerziehend. Meist tragen auch hier die Frauen die Hauptlast, denn in neun von zehn Fällen leben die Kinder bei der Mutter. Und das geht an die Substanz. „Frauen leiden häufiger als Männer an stressbedingten psychischen Krankheitsbildern wie Anpassungsstörungen und in der Folge auch an Depressionen. Das liegt aber nicht daran, dass sie seelisch instabiler sind. Sie sind oftmals stärker belastet“, erläutert KKH-Expertin Könitz.

Das Leben in einer dauerbeschleunigten, digitalisierten Gesellschaft birgt zusätzliches Stresspotenzial. Eltern verbringen inzwischen nicht nur selbst mehrere Stunden pro Tag mit dem Smartphone, sondern müssen ihre Kinder auch im Umgang mit Internet, Social Media & Co. begleiten. Und mit der Digitalisierung haben sich außer flexiblen Arbeitszeiten auch die ständige Erreichbarkeit und verschwimmende Grenzen zwischen Privat- und Berufsleben wie selbstverständlich etabliert. Darüber hinaus verdichtet sich die Doppelbelastung ‚Familie und Beruf‘ heute auf eine kürzere Lebensphase als früher, da Familiengründungen eher später stattfinden. Berufstätige Eltern in den Dreißigern und Vierzigern sind besonders belastet, weil sie sich gleichzeitig alles abverlangen: Sie wollen Karriere machen, eine Familie gründen und ihre Kinder perfekt erziehen. Einerseits vermitteln Gesellschaft und soziale Medien solche Ideale. Andererseits spielen von Eltern und Großeltern übernommene Wertevorstellungen eine tragende Rolle. Der Stress ist also häufig auch selbstgemacht – gerade durch solche überhöhten Erwartungen und den Drang zur Perfektion. Es ist also vor allem an uns selbst, die eigenen Ansprüche herunterzufahren.

Damit es gar nicht erst zu einem Burnout und zu psychischen Erkrankungen wie Depressionen kommt, sollten Mütter und Väter ihre Bedürfnisse frühzeitig hinterfragen und diesen auch genug Wichtigkeit einräumen. Denn: Wer ausgebrannt ist, kann nicht mehr voll für die Familie da sein. Und dabei ist die Kindererziehung eine der wichtigsten und verantwortungsintensivsten Aufgaben, die wir haben. Schließlich geht es hierbei um die nächsten Generationen und somit um unsere Zukunft. Schon allein deshalb sollte Elternarbeit in der Gesellschaft schlichtweg mehr wertgeschätzt werden.