Im Mai 2025 jährt sich das Ende des Zweiten Weltkriegs zum 80. Mal – ein Moment der Erinnerung, des Gedenkens, aber auch der Mahnung. Am 8. Mai 1945 kapitulierte das nationalsozialistische Deutschland bedingungslos. Der 2. Weltkrieg, der über 60 Millionen Menschen das Leben kostete, der weite Teile Europas in Trümmer legte und unfassbares Leid hinterließ, war vorbei.
Masuren, Januar 1945: Es ist der kälteste Winter seit vierzig Jahren. Inmitten von Chaos, Flucht und Tod wird die verbotene Liebe der Gutstochter Martha Molinski zu dem polnischen Zwangsarbeiter Jan auf eine harte Probe gestellt. Im Strudel des Untergangs einer faschistischen Weltordnung, zwischen Todesmarsch übers eisige Haff und trügerischer Hoffnung auf Rettung durch die „Wilhelm Gustloff“ entfaltet sich eine Odyssee voller Angst, Mut, Verzweiflung – und einem letzten Aufbäumen gegen das Unmenschliche.
Die Bendorfer Autorin Renate Panja Bartsch hat mit ihrem eindrucksvollen, bewegenden Roman „Damals – und die Hoffnung starb zuletzt“ nicht nur ein literarisches Mahnmal gegen das Vergessen geschaffen, sondern auch ein Werk von erschütternder Aktualität: Flucht, Entwurzelung und der Verlust der Heimat sind keine Phänomene der Vergangenheit. Im Licht der heutigen globalen Krisen, Kriege und Vertreibungen gewinnt ihr Roman bedrückende Brisanz – und mahnt uns alle. Im Interview spricht die Autorin über die wahren Hintergründe ihrer Geschichte, die historische Tragödie der „Wilhelm Gustloff“, die Bedeutung der Erinnerungskultur – und darüber, warum „Damals – und die Hoffnung starb zuletzt“ gerade heute gelesen werden sollte.
In diesem Jahr jährt sich das Ende des Zweiten Weltkriegs zum 80. Mal. Was bedeutet dieses Jubiläum für dich persönlich und als Autorin?
Der Alptraum war vorbei. Doch der Showdown vor Kriegsende hatte den Menschen nochmal alles abverlangt. Traumatisiert und teils abgestumpft kämpfte jeder tagtäglich ums Überleben. Wohl dem, dem die Kraft der Liebe zur Seite stand. Diese Zeit, das wohl dunkelste Kapitel unserer jüngeren Vergangenheit übte schon immer auf mich eine gewisse Faszination aus – und sei es nur die Faszination des Schreckens. Sie wirft so viele Fragen auf und bleibt bis heute Antworten schuldig.
Das Buch Damals – und die Hoffnung starb zuletzt beruht auf wahren Erlebnissen aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs. Wie hast du diese Geschichten gesammelt oder rekonstruiert?
Recherche! Als mir 2015 die Idee zu „Damals -…“ kam, wusste ich lediglich, dass die Menschen in den Masuren bei -30° vor der Roten Armee über das gefrorene Haff flohen. Also fing ich an zu recherchieren – die wohl interessanteste Arbeit eines Schriftstellers. Alles sollte in Frage gestellt werden. Zunächst machte ich mich mit Land und Leuten vertraut, mit masurischen Redewendungen, mit dem einzigartigen Zauber Masurens. Das Internet erwies sich als unverzichtbare Informationsquelle historischer Daten, Wetteraufzeichnungen und Mondphasen. Ich besuchte Archive und diskutierte medizinische und psychologische Aspekte mit befreundeten Ärzten. Die Familie Pompetzki aus Bendorf, die letztlich für meine Protagonisten Pate stand, überließ mir ihre privaten Aufzeichnungen von der Flucht – ein Dokument von unschätzbarem Wert. Diesen Zeitzeugen gilt mein ganz besonderer Dank. Sie zum Reden zu bewegen, ihre Geschichte zu hören, bewegte mich zutiefst.
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Welche persönlichen oder familiären Verbindungen hast du selbst zur Thematik der Flucht und des Kriegs?
Mein Vater war polnischer Zwangsarbeiter. Er hatte Glück im Unglück. Auf einem Bauerhof in Azelgift (Oberwesterwald) konnte er sich der Familie zugehörig fühlen. Dennoch gab es staatlich auferlegte Tabus, auf deren Verstoß die Todesstrafe stand. Die Erinnerung an meinen Vater inspirierte mich zu der fiktiven Liebesgeschichte.
Welche Parallelen siehst du zwischen den Fluchtgeschichten von damals und der heutigen weltweiten Fluchtbewegung?
Bei der Flucht 1944/45 handelte es sich um eine nationale Fluchtbewegung. Für die Menschen aus deutschen Ostgebieten gab es nur ein Ziel: der Westen Deutschlands. Die Städte lagen in Schutt und Asche, der Hunger war allgegenwärtig. Über 13. Millionen zusätzlicher Menschen wollten untergebracht und versorgt werden. Parallelen? Genau wie damals schaut die Welt einfach zu und lässt Aggressoren willkürlich schalten und walten, solange wirtschaftliche und geopolitische Interessen gewahrt bleiben.
Inwiefern geht es in deinem Buch nicht nur um Flucht, sondern auch um Hoffnung und Überlebenswillen?
Obwohl „Damals -…“ den historischen Hintergrund akribisch dokumentiert, steht die verbotene Liebe zwischen Martha und dem polnischen Zwangsarbeiter Jan im Vordergrund und zieht sich wie ein roter Faden durch das Buch. Wer erinnert sich nicht an die erste große Liebe? Man stelle sich vor, darauf stünde bei Entdeckung die Todesstrafe. Doch selbst in dieser dunklen Zeit wussten die Menschen, was Liebe ist und wieviel Kraft man daraus schöpfen kann. Und wahre Liebe schreckt kein Verbot.
Warum ist es gerade heute – in einer Zeit voller Unsicherheiten, Kriege und Flucht – so wichtig, dieses Buch zu lesen?
Auf unterhaltsame Weise – ohne den erhobenen Zeigefinger zu bemühen – mahnt es zum Frieden. Es zeigt nur allzu deutlich, dass es im Krieg keine Gewinner geben kann. Und 80 Jahre nach Kriegsende sollte auch ein Hinweis erlaubt sein: Ja, wir waren Täter – niemand mit einem Funken Verstand streitet das ab! Aber wir waren auch gleichzeitig Opfer. Diese Erkenntnis erlangte einst mein Vater, ein polnischer Zwangsarbeiter.
Glaubst du, dass Literatur wie deine einen Beitrag zur Erinnerungskultur leisten kann – gerade in Zeiten, in denen Zeitzeugen rar werden?
Ich hoffe es! Literatur und mediale Dokumentationen können einen Beitrag gegen das Vergessen leisten, eher noch als Zeitzeugen. Um das Trauma zu überwinden, übte sie sich in Verdrängung. Doch 80 Jahre totschweigen konnten die Erinnerungen nicht ausradieren.
Vielen Dank, Renate Bartsch, die das Interview mit Chefredakteurin Katharina Göbel-Backendorf führte.