Wir begleiten Franziska Raschke – Expertin für Emotionales Essverhalten, Psychologische Beraterin und Ernährungsberaterin – ein Jahr lang bei ihrer Arbeit und versuchen so, Menschen für das Thema „Emotionales Essverhalten“ zu sensibilisieren und mehrere Aspekte zu beleuchten. Doch zunächst einmal geben wir einen Einblick was Emotionales Essverhalten überhaupt ist, was dahintersteckt und ob es vielleicht auch euch betrifft.

Im exklusiven Interview mit Franziska Raschke, Expertin für Emotionales Essverhalten, Psychologische Beraterin und Ernährungsberaterin 

Franziska, die Frage, die uns natürlich als allererste unter den Nägeln brennt: Was genau ist Emotionales Essverhalten, was steckt dahinter?

Kurz gesagt ist damit gemeint, wenn sich in unserem Leben (fast) alles um das Essen dreht. Also dann, wenn es für uns mehr ist als das Stillen eines körperlichen Grundbedürfnisses. Dann essen wir aus Langeweile, aus Frust, zur Belohnung. Oder essen eben nicht. Das körperliche bzw. das natürliche Hungergefühl spielen keine Rolle. Einige Betroffene nutzen das Essen dazu, ihren Körper wieder zu spüren, regulieren ihre Gefühle über das Essverhalten. Und ich rede nicht davon, mal zu übertreiben und sich den Bauch vollzuschlagen, weil das Essen so gut schmeckt, sondern wenn dies ein dauerhafter Zustand ist. Wenn unser Essverhalten unseren Alltag bestimmt, auch unbewusst. Einige Betroffene nutzen es auch als Vermeidungsstrategie. Mit vollem Bauch oder keiner Energie bleibe ich lieber zu Hause.

Wen betrifft es konkret, kann man da eine bestimmte Personengruppe eingrenzen?

Nein, es kann jeden betreffen. Oftmals ist das Essverhalten schon in der Kindheit verwurzelt. Wir wurden für gute Leistungen mit Süßigkeiten belohnt oder auch bei Traurigkeit mit bestimmten Lebensmitteln getröstet. Es sind Menschen betroffen, die von sich selbst weit entfernt sind, die verlernt haben, auf IHRE Bedürfnisse zu hören – körperlich wie emotional. Das ist ein schleichender, oftmals unbewusster Prozess. Genau deswegen ist es so wichtig, das Thema zu enttabuisieren und unsere Gesellschaft dafür zu sensibilisieren.

Die betroffenen Personen kommen also zu dir in die Praxis?

Richtig. Neben Beratungen in meiner Praxis biete ich auch Online-Beratungen per Videochat an. So habe ich die Möglichkeit, überregional meine Klienten mit begleitender Hilfestellung zu unterstützen. Das ist ein für mich wichtiger Punkt, ich sehe mich als Begleiterin. Es gibt immer ein erstes Kennenlerngespräch. Entscheidet sich der/die Betroffene für den gemeinsamen Weg mit mir, erarbeiten wir dann zusammen die Gründe für das Kompensationsverhalten. Meist ist Emotionales Essverhalten eine Verknüpfung von Essen mit Gefühlen wie Geborgenheit und Liebe – auch an Erinnerungen. Die innere Veränderungsarbeit vollziehen die Klienten selbst. Eine große Rolle spielt auch die Motivation für eine Veränderung. Da verhält es sich ähnlich wie bei Suchtkranken. Es hilft alles nichts, wenn die Betroffenen selbst diesen Schritt nicht aus dem Herzen heraus wollen!!!

Wie hat sich die Problematik über die letzten Jahre entwickelt?

Für mich gibt es zwei Seiten. Auf der einen Seite wird das Nahrungsangebot immer größer und wir müssen uns weniger Gedanken machen, wo wir etwas zu essen herbekommen. Gleichzeitig steigen die Angebote an sogenannten Diätprodukten. Das widerspricht sich meiner Meinung nach. Während überall von Entschleunigung die Rede ist, sind To-go- und Zwischendurch-Snacks die Realität. Wir essen nicht mehr bewusst und achtsam.

Essen ist und bleibt ein Grundbedürfnis – wir müssen essen um zu überleben – daher ist eine Veränderung in diesem Bereich auch schwieriger zu bewirken als anderswo. Die Gefahr der Konsumgesellschaft besteht darin, dass Emotionales Essverhalten einerseits immer noch ein Tabuthema ist, andererseits durch das Überangebot unterstützt bzw. erleichtert wird.

Da unser Essverhalten ja unser ganzes Leben beeinflusst, ist es doch durchaus ganzheitlich zu betrachten, oder?

So ist es! Wir dürfen mehr auf unsere natürlichen Impulse vertrauen und für uns entdecken, was wir möchten und was nicht. Für unser Wohlbefinden ist das immens wichtig. Ernähren wir uns ungesund, haben wir beispielsweise wenig oder keine Energie, teilweise sogar Schmerzen. Mit einer gesunden Ernährungsweise geht es uns besser, physisch und psychisch. Wenn Essen zur Herausforderung wird, kann das eben auch schnell unsere Stimmung beeinflussen. Deswegen ist ein guter Umgang mit Essen wichtig.
Ich wünsche mir, dass die Menschen sensibler werden, was die eigene Wertschätzung angeht. Es steckt sehr viel Wahrheit in dem Spruch „Du bist, was du isst“. Wenn ich ständig Ungesundes esse, bin ich es mir dann wert, dass es mir und meinem Körper gut geht? Es ist meine bewusste Entscheidung, was ich esse und wie ich meine Zeit investiere. Zeit ist oft ein Argument gegen z.B. kochen. Auch das hat mit Wertschätzung und Bewusstsein zu tun. Nehme ich mir eine Stunde Zeit, ein leckeres, gesundes Abendessen zuzubereiten oder schaue ich in der Zeit lieber Fernsehen? In Ruhe zu essen, bewusst und ohne Ablenkung, ist heute zum Problem geworden.
Essen darf leicht sein, für jeden von uns. Das habe ich mir unter anderem zur Aufgabe gemacht.

Vielen Dank, Franziska Raschke, für das sehr aufschlussreiche Gespräch. Wir freuen uns schon, weitere Aspekte dieses interessanten Themas zu beleuchten. Falls ihr Anregungen, Fragen oder Ideen dazu habt, freuen wir uns sehr auf eure Nachrichten. Schreibt uns einfach eine Mail an redaktion@magazin-next.de

Zur Person

Franziska Raschke blickt selbst auf eine Geschichte voller strenger krankheitsbedingter Diäten in der Kindheit und das Ringen nach Aufmerksamkeit durch ihr Essverhalten zurück. Mal hat sie zu wenig gegessen, mal zu viel. Dabei ging es ihr zunächst darum, Kontrolle zu bewahren, die sie irgendwann verloren hat.  Sie hat herausgefunden, wer sie wirklich ist und was sie für sich möchte. Ihr ganzes Leben hat sie sich sehr für Ernährung und Psychologie interessiert und schlussendlich die Entscheidung getroffen, daraus etwas zu machen. So hat sie ihren sicheren Job aufgegeben, um sich auf dem Gebiet selbstständig zu machen. Heute ist sie dankbar für ihren eigenen herausfordernden Weg und glücklich, anderen Menschen zur Seite stehen zu dürfen, denen es ähnlich geht wie ihr einst.

Bildrechte           Franziska Raschke