„Vor allem aber muss die Bundesregierung weg von der Kürzungspolitik und endlich wieder investieren.“

Anlässlich seiner Veranstaltung „Auf eine Currywurst mit Gregor Gysi“ kommt der Spitzen-Politiker am 22. Mai nach Koblenz und bietet einen autobiographischen Blick hinter die Kulissen des Politikbetriebs. Wir haben die Gelegenheit genutzt, uns mit ihm zu unterhalten und einige spannende politische Fragen mit ihm besprochen. Das Interview führte der in unserer Region ebenfalls politisch aktive Dirk Schaefer.

Herr Gysi, es sind gleich drei aktuelle Bücher von Ihnen zu lesen. Sie selbst sagen, dass die Autobiographie letztlich das sei, was man in jedem Fall gelesen haben sollte. Verraten Sie uns warum?

Natürlich wäre es am besten, alle drei Bücher zu lesen, aber dafür bräuchte man schon einige Zeit, die viele Menschen gar nicht haben. Die Autobiographie ist vielleicht am umfassendsten. Mir haben viele Leserinnen und Leser geschrieben, dass sie ihre eigene Biographie darin teilweise wiedererkennen oder durch das Lesen besser verstanden haben, wie der Osten funktioniert hat und teilweise auch heute noch funktioniert.

Wie bewerten Sie das Bündnis Sahra Wagenknecht und vor allem den Schritt der Mitnahme von Mandaten?

Es ist erst einmal ihr gutes Recht, eine neue Partei zu gründen. Ich wäre allerdings nie auf die Idee gekommen, eine Partei unter meinem Namen zu gründen. Mein Problem ist die Mitnahme der Mandate. Das ist moralisch durch nichts gerechtfertigt. Die Mitglieder meiner Partei haben den ganzen Wahlkampf gemacht und bezahlt. Das finde ich von allen zehn Abgeordneten, die gegangen sind, nicht anständig. Die Fraktion musste aufgelöst und zunächst über 100 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter entlassen werden. Und als Gruppe haben wir nun viel geringere Mittel, so dass wir nicht alle wieder beschäftigen können. Sahra Wagenknecht ist also direkt für deren Arbeitslosigkeit verantwortlich.

Sie selbst haben gesagt: „Die Linke ist in einer Krise.“ Aus Krisen möchte man logischerweise wieder herauskommen, wie gelingt das Ihrer Meinung nach am Besten, auch unter Ihrer Mitwirkung?

Ich kenne das ja, die größte Krise hatten wir im Dezember 1989, da standen wir am Abgrund – und das haben wir gemeistert. Jetzt sind wir in einer anderen Krise und das können wir auch meistern. Und zwar dadurch, dass wir nicht die Partei der 1000 kleinen Dinge sind, sondern uns auf fünf Fragen konzentrieren: Reale Friedenspolitik, deutlich mehr soziale Gerechtigkeit, einschließlich Steuergerechtigkeit auch für die Mitte der Gesellschaft, ökologische Nachhaltigkeit in sozialer Verantwortung, die Gleichstellung von Frau und Mann und die Gleichstellung von Ost und West. Punkt. Wenn wir uns darauf konzentrieren, haben wir eine Chance.

Ihnen liegt die Gleichstellung von Ost und West sehr am Herzen. Wo hakt es da Ihrer Meinung nach noch besonders? Und wo ist dringender Handlungsbedarf, um für mehr Gerechtigkeit zu sorgen, so lange Jahre die wir nun schon die Deutsche Einheit haben?

Letztlich geht es darum, dass man im Osten nach wie vor ein Fünftel weniger verdient als im Westen, was sich dann natürlich auch bei den Renten niederschlägt. Nehmen Sie die Metallindustrie. Dort gilt im Westen seit den 1990er die 35-Stunden-Woche, im Osten sind es bis heute 38 – 40 Stunden. Zwar ist der Tariflohn inzwischen in Ost und West gleich, aber im Osten musste man dafür 4000 Stunden, zwei volle Jahre länger arbeiten. Solche Unterschiede tun dem Land auf Dauer nicht gut.

Wie kann man möglichst viel dazu beitragen, dass die Menschen der rechten Seite, vor allem der AFD, nicht zulaufen?

Zunächst müssen Union und FDP, teilweise auch SPD und Grüne aufhören, der AfD mit ihrer Politik hinterherzulaufen. Im aktuellen Wahlkampf sind die Sprüche von CDU und AfD mitunter kaum noch zu unterscheiden. Dann müssen Medien, Kultur, Kirchen, Wissenschaft, Gewerkschaften mehr aufklären, was es bedeutete, wenn die AfD stärker wird oder gar an die Macht käme. Unternehmen würden abwandern, Pflege, ÖPNV, Müllentsorgung – überall fehlten Arbeitskräfte, für viele würde die gesetzliche Rente gekürzt oder sie müssten bis 70 und länger arbeiten und die Demokratie würde ausgehöhlt. Vor allem aber muss die Bundesregierung weg von der Kürzungspolitik und endlich wieder investieren. Es gibt genug Studien, die den Zusammenhang zwischen staatlicher Kürzungspolitik und dem Erstarken rechtsextremer Kräfte belegen.

Was könnte Ihrer Meinung nach ein guter Weg sein, damit im Krieg um die Ukraine die Waffen schweigen und das vielleicht sogar auf Dauer?

Experten wie der langjährige Generalstabschef der US-Army, General Milley, haben schon früh darauf hingewiesen, dass weder Russland noch die Ukraine ihre Ziele militärisch erreichen, also den Krieg gewinnen können. Deshalb halte ich es für sinnvoll, wenn so schnell wie möglich ein Waffenstillstand herbeigeführt wird und Verhandlungen aufgenommen werden. Man muss China und Indien dafür gewinnen, entsprechenden Druck auf Russland auszuüben. Gegen die kann sich Putin nicht stellen. Ja, die Verhandlungen werden schwierig, aber der Ukraine dürfte gerade in der gegenwärtigen Lage an der Front am ehesten geholfen sein, wenn die Waffen schweigen. Klar ist dabei, dass am Ende die territoriale Integrität der Ukraine gewährleistet werden muss und es dafür dann auch entsprechende Sicherheitsgarantien gibt. Europa muss endlich wieder ein Kontinent des Friedens werden.

Vielen Dank Gregor Gysi, vielen Dank Dirk Schaefer, dass Sie sich die Zeit für uns genommen haben!