Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat mit Beschluss vom 8.7.2021 zwar die derzeitigen Zinsfestsetzungen der Finanzämter im Interesse der Gleichmäßigkeit der Besteuerung und zur Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen dem Grunde nach bestätigt. Die Verfassungsrichter haben allerdings den Zinssatz von 0,5 % pro Monat, das einem Zinssatz von 6 % pro Jahr entspricht, angesichts des seit Jahren vorherrschenden Nullzinsniveaus beanstandet. Das BVerfG hat den Gesetzgeber aufgefordert bis zum 31.7.2022 eine Neuregelung zu schaffen. Die Finanzverwaltung hat mit Schreiben nunmehr die Art und Weise der praktischen Umsetzung dieses Zinsbeschlusses bekannt gegeben. Nach dem Schreiben des Bundesfinanzministeriums gilt für Verzinsungszeiträume ab 1.1.2019 eine Anwendungssperre. Das heißt, dass die Finanzämter keine Nachzahlungszinsen auf Steuerforderungen verrechnen. Im Gegenzug werden auch keine Erstattungszinsen auf Steuerguthaben gezahlt. Doch was bedeutet das konkret?

KEINE AUSSETZUNG VON HINTERZIEHUNGSZINSEN

Die Anwendungssperre gilt nur für Vollverzinsungsfälle, nicht auch für Stundungs-, Hinterziehungs- und Aussetzungszinsen. Als Begründung führt das BMF an, dass es sich bei diesen Zinsen zulasten der Steuerpflichtigen um andere Verzinsungstatbestände handelt. Diese sind auf einen Antrag der Steuerpflichtigen zurückzuführen bzw. werden bezogen auf Hinterziehungszinsen von den Steuerpflichtigen bewusst in Kauf genommen.

AUSGESETZTE VERZINSUNG WIRD NACHGEHOLT

Für Steuerpflichtige bedeutet die Anwendungssperre allerdings nicht, dass Verzinsungszeiträume ab 2019 zur Gänze zinsfrei bleiben. Sobald der Gesetzgeber eine Neuregelung geschaffen hat, ist mit einer Nachforderung der ausgesetzten Zinsen nach Maßgabe der rückwirkend getroffenen Gesetzesänderung zu rechnen.

VERZINSUNG VON STEUERNACHFORDERUNGEN UND ERSTATTUNGEN

Aktuell erhebt der Fiskus einen Zinssatz von 0,5 % pro Monat bzw. 6 % pro Jahr auf Steuernachforderungen (§ 238 Abgabenordnung/AO). Diesen Zinssatz zahlt der Fiskus auch auf Steuererstattungen. Die Zinsen werden stets nach Ablauf der zinsfreien Karenzzeit fällig. Diese beträgt grundsätzlich 15 Monate und beginnt mit der Steuerentstehung bzw. nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden ist.

ZINSSATZ AB 2014 VERFASSUNGSWIDRIG

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat im Beschluss vom 8.7.2021 nun aber die aktuellen Verzinsungsregelungen für verfassungswidrig erklärt. Das BVerfG begründet dies u. a. mit der Ungleichbehandlung von Steuerschuldnern, deren Steuer erst nach Ablauf der Karenzzeit festgesetzt wird, gegenüber Steuerschuldnern, deren Steuer bereits innerhalb der Karenzzeit endgültig festgesetzt wird. Außerdem liege nach Auffassung des BVerfG eine Ungleichbehandlung und damit ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) vor, zumal der Zinsberechnung für Verzinsungszeiträume ab dem Jahr 2014 ein Zinssatz von monatlich 0,5 % zugrunde gelegt wurde. Dass das BVerfG diese Ungleichbehandlung erst für Verzinsungszeiträume ab 2014 feststellt, liegt daran, dass bis in dieses Jahr hinein regelmäßig noch Habenzinsen erzielt werden konnten.

ZINSSÄTZE BIS 2018 ANWENDBAR

Für die Jahre ab 2014 bis 2018 stuft das BVerfG die Regelungen zwar für verfassungswidrig ein, Steuerpflichtige können aber dennoch keine Rückzahlung vom Fiskus verlangen. Die verfassungswidrigen Verzinsungsregelungen dürfen zu Gunsten der Finanzkassen für alle bis einschließlich in das Jahr 2018 Verzinsungszeiträume weiter angewendet werden.

NEUREGELUNG AB 2019

Erst ab Verzinsungszeiträumen, die in das Jahr 2019 fallen, versagt das BVerfG die Anwendung der bisherigen Regelungen mit der Folge, dass Steuerpflichtige eine Rückzahlung erwarten können bzw. das Finanzamt Erstattungszinsen zurückfordern kann. Der Gesetzgeber ist außerdem verpflichtet, bis zum 31.7.2022 eine verfassungsgemäße Neuregelung zu treffen.

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